Ich nehme mir heute etwas Zeit, das neu freigeschaltete Kaufhaus Österreich – kürzlich vom Wirtschaftsministerium und der Wirtschaftskammer (WKÖ) stolz präsentiert – etwas näher anzusehen. Anhand von ein paar Fragen und einem Beispiel möchte ich mir anschauen, was hier programmiert worden ist – und was man eigentlich vorgehabt hätte. Vorweg: Da passt vieles nicht zusammen!
Während drüben auf Twitter über Nacht gesudert und gespottet wurde, versuche ich die Sache hier etwas pragmatischer und hoffentlich lösungsorientierter anzupacken.
Long story short: Das von Ministerium und WKO vorgestellte „Kaufhaus Österreich“ ist schon mal grundsätzlich kein Kaufhaus, weil es dort kein einziges Produkt zu finden gibt. Es sind lediglich Händler(einträge) vorhanden. Um das erklärte Ziel, „Webshops von österreichischen Händlern leichter auffindbar zu machen“ bedarf es aus meiner Sicht ganz anderer Maßnahmen. Zu diesen habe ich hier ein paar Beispiele, Ideen und Vorschläge gesammelt.
Ziel erreicht? NEIN.
In jedem Kaufhaus (Definition siehe Wikipedia) gibt es eines: Produkte und Waren. Im „Kaufhaus Österreich“ findet man genau diese nicht. Was bietet es dann? Maximal ein durchschnittlich gutes digitales Händlerverzeichnis kombiniert mit einer mittelmäßig funktionierenden Kategorie- und Standortsuche. Suche ich zum Beispiel ein „Buch“, wird auch ein „Buchungsportal für Reinigungen“ gefunden – Kontext geht im Jahr 2021 anderes.
Die Plattform listet (zumindest am Erscheinungstag dieses Beitrages) kein einziges Produkt auf, sondern zeigt lediglich Händler und Anbieter in Listen und Suchergebnissen an. Nutzer können „Stöbern“ und sich – theoretisch – inspirieren lassen, am Ende bleibt hier nur ein Link zum Händler (bei dem ich dann ja erneut suchen muss, um mein Wunschprodukt vielleicht finden und schließlich kaufen zu können) das Ende der Fahnenstange.
Tausende Händler, tausende Websites, zig unterschiedliche Technologien, Shop-Systeme und Checkout- sowie Zahlungsprozesse. Das alles führt heute unter anderem dazu, warum ich als Konsument am Ende die bequemste Variante wähle.
Ziel erreicht? JA.
„Es ist keine Kopie von Amazon, es ist auch nicht unser Ziel“, sagte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) am Montag bei einer Onlinepressekonferenz gemeinsam mit WKÖ-Präsident Harald Mahrer. (Quelle: https://oesterreich.orf.at/stories/3078352/)
Super gemacht, Thema getroffen, Ziel zu 100% erreicht! Denn eine Amazon-Kopie ist es definitiv nicht geworden. Das „Kaufhaus Österreich“ hat nämlich weder eine Produktsuche und die eigentlichen Produkte noch einen Warenkorb und schon gar keinen Checkout Prozess, kein Payment und auch keine Logistik zu bieten.
Welchen Vorteil die Händler und Onlineshops von so lieblosen, noch dazu nicht mal suchmaschinenfreundlichen Einträgen wie dem gleich hier abgebildeten Beispiel haben sollen, erschließt sich mir überhaupt nicht.
Was wäre das eigentliche Ziel gewesen?
„Das Wirtschaftsministerium und die Wirtschaftskammer (WKÖ) haben gemeinsam die Onlineplattform ‚Kaufhaus Österreich‘ gestartet. Damit sollen die Webshops von österreichischen Händlern leichter auffindbar gemacht werden.“ (Quelle: https://oesterreich.orf.at/stories/3078352/)
Spoiler Alert: So etwas gibt es schon! Noch dazu etwas praktischer, mit mehr Reichweite und einer einfach Benutzeroberfläche: Es nennt sich Google, existiert bereits einige Jahrzehnte lang und diese Plattform (eigentlich: Suchmaschine) funktioniert praktischerweise auch personalisiert und regionalisiert. Was nichts anderes bedeutet, als dass ein Motorrad-Interessierter Südsteirer für ein und dieselbe Suchanfrage ein gänzlich anderes Suchergebnis erhalten wird, als ein freier Journalist und Schallplattenfan aus Bregenz.
Das Wichtigste dabei: Google konzentriert sich auf den Käufer, und nicht den Händler.
Ein Beispiel gefällig?
Möchte ich ein Buch kaufen, zum Beispiel zur Saison passend als Weihnachtsgeschenk, werde ich bei der zuvor genannten Suchmaschine sofort fündig. Ich suche sogar nach einem Buch von einem österreichischen Autor, erschienen in einem österreichischen Verlag. Überraschung: Nur eines (!) der 11 Ergebnisse in meinem sichtbaren Suchergebnisfenster werden vom „bösen“ Amazon in Beschlag genommen. Noch dazu nicht mal an der erste Stelle. Alle anderen – tada!! – zeigen mir österreichische Anbieter und Buchhändler mit ihren entsprechenden Onlineshops. Ich bin positiv überrascht!
Bei einem solchen Suchergebnis liegt es gleich an mehreren Faktoren, warum ich als mich als Käufer für Amazon entscheide, oder eben nicht:
- Produktverfügbarkeit (hier kann sogar ein lokaler Händler punkten, wenn ich etwas schneller als die bekannten Amazon-Lieferzeiten benötige)
- Preis (bei Büchern soweit ich weiß reguliert)
- Bequemlichkeit und Sicherheit (zB. Checkout- und Shopping-Erlebnis, Zahlungsanbieter)
Das heißt für mich, der Käufer und der Anbieter sind für die Kaufentscheidung gleichermaßen verantwortlich. Aus Käufersicht habe ich es immer in der Hand, wohin ich klicke und wo ich meine Bestellung absende. Ja, der Prozess kann bei lokalen Shops ggf. etwas weniger bequem sein (vs. dem 1-Click®-Shopping bei Amazon), eventuell ein paar Prozent mehr kosten, aber er würde den Euro definitiv im Land lassen.
(Nicht immer) Kunde, seit 1999
Ich bin Amazon-Kunde seit 1999 (und denke gerade kurz darüber nach, bei welchem Unternehmen ich eigentlich noch fast mein halbes Leben lang Kunde/Mitglied bin und regelmäßig einkaufe…). Dennoch versuche ich beim Onlinekauf jedes Mal aufs Neue produktspezifisch zu entscheiden, wo ich schließlich bestelle.
Speziell in den letzten Wochen und Monaten sind viele meiner Bestellungen auf regionalen Shops und Websites passiert, egal ob es Kaffee, Ernährungsprodukte, Kurzhanteln oder Gutscheine waren. So weit so gut. Auch Hotels buche ich manchmal bei großen Plattformen, manchmal und immer lieber aber auch direkt an der Hotelrezeption, vielleicht sogar ganz „altmodisch“ per Telefon.
Wo ist schließlich das Problem?
Ich bin seit mehr als 20 Jahren in der IT- und im Internet unterwegs, kenne die Branche aus nahezu allen Blickwinkeln, agentur- und unternehmensseitig, von internationalen Konzernen und Medienhäusern über KMU bis hin zum selbständigen Unternehmer.
Nein, das neue „Kaufhaus Österreich“ wird nicht dafür sorgen, dass „österreichische Händler besser aufgefunden“ werden. Und selbst wenn, dann wird dies nicht effizient sondern mit viel weiterem (Steuer-)Geld angeschoben werden (müssen). Traffic muss man sich erarbeiten und/oder erkaufen. Ersteres dauert länger, ist dafür nachhaltig – wurde aber hier in vielen Teilen bereits verpasst. Letzteres geht zwar etwas schneller, kostet jedoch – ein weiteres Mal – viel und ist wenig nachhaltig: Kohle aus, Traffic weg. Design und Programmierung von dem, was heute sichtbar ist, hat sicher auch nicht wenig gekostet – ich wüsste gerne, wie viel?
Update: DerStandard.at berichtet am 1.12.2020 abends: Das „Kaufhaus Österreich“ kostete 627.000 Euro.
Das Problem sitzt vor dem Bildschirm.
Meine Erfahrung zeigt, dass in vielen Fällen das „Problem“ sich nicht im Bildschirm, Computer oder Device befindet, sondern davor sitzt. Ich fürchte, das war auch hier wieder einmal der Fall. Oder hast du jemals zuerst nach einem Anbieter (in deiner Nähe) gesucht, und dann erst nach dem Produkt, das du haben möchtest?
Ich lasse mich hier gerne belehren aber der mehrheitliche Zugang ist doch umgekehrt? Ich weiß doch in den meisten Fällen zuerst was ich haben möchte, und dann schaue ich, wo es das Produkt a) zu einem guten Preis, b) zur schnellsten Verfügbarkeit sowie c) von einem vertrauenswürdigen Geschäftspartner gibt?
Was ist die Lösung?
Bildung, Bildung, Bildung – in Form von Ausbildung, Studium oder Fortbildung. Nicht kurz, nicht einmalig, sondern immer. Warum? Weil bei den „großen Unternehmen“ nämlich auch eine Heerschar an smarten Menschen aus aller Welt und in aller Welt täglich daran arbeitet, ihre Systeme, Plattformen, Suchmaschinen und Onlineshops noch besser zu machen.
3 kostenlose Tipps für die öffentlichen Stellen:
1. Reduziert die (Steuer-)Vorteile der vielkritisierten Großunternehmen endlich auf internationaler Ebene. Sie machen nach meinem Verständnis nichts Illegales, sondern nutzen den Rahmen des Erlaubten bestmöglich zu Ihrem eigenen Vorteil aus.
2. Helft Händlern und Unternehmern noch viel mehr in Sachen Digitalisierung, E-Commerce und Onlinemarketing. KMU Digital ist gut, da geht aber sicher noch mehr. Fördert Ausbildungsmaßnahmen wie den Digital Expert Lehrgang (bei dem einige der gleich unten Genannten übrigens auch unterrichten) noch viel mehr als bisher. Damit werden passende Fachkräfte aus- und weitergebildet, die Händlern später helfen können, besser gefunden zu werden – und damit euer Ziel zu erreichen.
3. Fragt gerne beim nächsten Mal bei Alex, Oliver, Martin, Daniel und/oder mir nach, wenn ihr eine „Plattform“ baut, die auch richtig gefunden werden soll. Handwerkliche Fehler und Versäumnisse hier aufzuzeigen, sprengt den Rahmen (dazu wurde zB. auf Twitter schon einiges gefunden und genügend geschrieben).
Neue Plattformen lösen gar nichts.
Eine „Homepage“ oder ein Onlineshop alleine lösen gar nichts, genauso wenig wie diese neue Plattform. Wenn österreichische Händler und Unternehmer, die online erfolgreich sein wollen, nicht zumindest ein paar der folgenden Fragen für sich beantworten und diese mittelfristig auch selbst steuern und gestalten können, dann wird auch der Eintrag auf einer weiteren Plattform nicht viel neue Kunden bringen.
Was müsste man eigentlich fördern, lernen und sich als Händler fragen?
- Was ist mein Alleinstellungsmerkmal als Verkäufer und/oder Hersteller von Produkten?
- Warum werden „gute“ Anbieter und/oder Mitbewerber weit vorne in Suchmaschinen gefunden und ich nicht?
- Warum reicht es nicht nur aus, gefunden zu werden, sondern warum muss auch (sehr!) vieles davor und danach optimiert werden?
- Welche Rollen spielen dabei Inhalte (zB. Texte und Bilder), Produktdesign, Preisgestaltung und Verkaufspsychologie?
- Wie sieht meine Logistik und Kundenbetreuung aus, also alles was nach einer Bestellung passiert oder passieren soll?
- Und und und…
3 kostenlose Tipps für Unternehmer und Händler:
1. Sucht euer Unternehmen, eure Angebote, eure Produkte in Suchmaschinen und auf bekannten Portalen. Schaut darauf, dass ihr dort einen einheitlichen und professionellen sowie aktuellen Auftritt habt.
2. Sucht mal gezielt nach euren Top 3 Mitbewerbern und achtet darauf, was diese sowohl in Sachen Auffindbarkeit als auch dann auf ihren Websites und in den Webshops besser macht als ihr.
3. Fasst die Ergebnisse zusammen (Screenshots, Textdokument und/oder tabellarisch) und hinterfragt, was davon ihr selbst lösen und optimieren könnt – und wofür es professionelle Hilfe braucht. Jeder auch noch so kleine Optimierungsschritt bringt euch mittelfristig weiter.
Im „Fachjargon“ nennt sich sowas zum Beispiel Online Marketing, Suchmaschinenmarketing, Suchmaschinenoptimierung, UI-/UX-Design, Product Design, Content Design, Supply-Chain-Management oder Conversion-Optimierung. Danach solltest du als Unternehmer suchen, um dich selbst darin weiterzubilden und/oder gutes Personal mit diesen Kenntnissen für deine E-Commerce-Vorhaben einzustellen.
So, jetzt hoffe ich, dass mein Beitrag so proaktiv und konstruktiv geworden ist, wie ich mir das eingangs vorgenommen hatte. Wie siehst du das?
PS: Für Diskussionen, Optimierungsvorschläge, Strategieworkshops und Fragen stehe ich gerne zur Verfügung. Mein Tagessatz für Beratung, Begleitung, Analysen oder Training: € 1.200,- exkl. MWSt.
PPS: Abschließend gehe ich mal davon aus, dass alle Unternehmen, die sich jetzt im neuen „Kaufhaus Österreich“ präsentieren, bereits bei Herold, WLW, Yelp, Google, Facebook und noch vielen mehr meist kostenlosen, etablierten und bereits reichweitenstarken Plattformen zur Steigerung der digitalen Auffindbarkeit mit optimierten Einträgen gelistet sind? Falls nicht, fangt damit am besten gleich heute an. Wenn’s Fragen gibt und Hilfe benötigt wird – jederzeit!
4 Antworten auf „Warum das „Kaufhaus Österreich“ (k)eine Themenverfehlung ist“
….Das gibt’s schon – nennt sich Google – made my day ;-).
Sehr interessanter Artikel über eine „typisch österreichische (mit Augenzwinkern“) Lösung.
Nachtrag: Jetzt kennen wir auch die Kosten: „‚Kaufhaus Österreich‘ kostete 627.000 Euro“ – ORF.at, 1.12.2020, 16:29 Uhr – https://orf.at/stories/3191994/
Ganz herzlichen Dank für diesen konstruktiven Beitrag! Und ja, Google, booking.com & Co sind der Maßstab, an dem wir mit unseren Plattform-Lösungen gemessen werden. Gerade weil es dort so einfach und unkompliziert ausschaut und meistens auch ist, steckt dahinter enorm viel Arbeit und Know How. Komplizierte Lösungen zu bauen und dafür viel Geld ausgeben, das können wir inzwischen auch …
Vielen Dank für die ausgezeichnete Aufarbeitung und den Überblick über die Kaufhaus Österreich Debatte! Schön, wenn man als eine Ihrer Studentinnen eines besseren belehrt (bzw. gelehrt) wurde. ;-)